Besuch in der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau – touristische Sehenswürdigkeit oder wichtige Bildung?

Etwa 1,1 Millionen Menschen wurden im größten deutschen Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau ermordet. 1100000. Eine unvorstellbare Zahl, die für mich auch nach so vielen Jahren Beschäftigung mit Geschichte abstrakt blieb. Beim Besuch des Vernichtungslagers im heutigen Polen bekommt der Schrecken des Holocausts ein Gesicht. Doch Auschwitz ist auch zu einer Touristenattraktion geworden. Ist das schlecht oder wichtig für uns? Einige Gedanken und Photos von mir zu Gedenkstätten und ihrer Wichtigkeit.

Auschwitz-Birkenau Gedenkstätte

Immer wieder stellt sich die Frage, wie viel Bildung und Unterricht wir im Bereich Holocaust noch benötigen. Schüler maulen schon einmal gerne: „Schon wieder Drittes Reich?“ oder „Das haben wir jetzt schon so oft gemacht“. Auch deshalb wurden in vielen Kernlehrplänen deutscher Bundesländer im Fach Geschichte die Thematik „Nationalsozialismus“ etwas verringert. Aber ist dies zeitgemäß?

Gerade in diesem Jahr erleben wir besonders hartnäckig den Aufschwung von rechtspopulistischen Parteien in ganz Europa: In nahezu allen westlichen Ländern Europas sind rechte Parteien integraler Bestandteil der Politik, in Frankreich und den Niederlanden stellen sie die jeweils stärksten Parteien. (Besonders diese wollen nun auch verstärkt Europa „spalten“.) Auch in Deutschland schafft eine rechtspopulistische Partei fast den Einzug in das Parlament. Ich möchte hier gar nicht den (sicherlich tief liegenden) Ursachen dieser Bewegungen nachspüren (das haben andere sowieso schon besser gemacht), sondern fragen (auch mich selbst), wie wir als Menschen, Lehrer, Eltern oder Freunde mit Gedenkstätten wie in Auschwitz erinnern können – erinnern, dass sich diese Geschichte nicht wiederholt und wir uns der Tragik und dem Horror der Shoah immer bewusst sind.

Auschwitz -Arbeit macht frei

„Your aim is to educate young people from every background about the Holocaust and the important lessons to learned for today.“ (HET).

„Discrimination isn’t dead. These people were humans and it could happen again. It wasn’t that long ago.“ (Sammye Whitbread, Student)

It makes it much more real. When you see hair and possesions you realise they are real people who died.“ (Beth Mannig, Student)

Diese Zitate las ich neulich in der Huffington Post („Auschwitz-Birkenau And Holocaust Horrors Taught To Students To Ensure Future Generations Never Forget„), und ich fand sie sehr aufschlussreich: Sie drücken auch meine Gedanken zu diesem schweren, unbegreiflichen Thema aus und zeigen, dass auch Schüler und Studenten die Wichtigkeit der Holocaust-Bildung verstehen können – wenn sie denn ein Konzentrationslager und die dortigen Taten mit eigenen Augen sehen und verstehen.

Auschwitz Stacheldraht

Mein Besuch in der heutigen Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau startet merkwürdig: Es ist ein bisschen wie in einem großen Freizeitpark und unterscheidet sich kaum von anderen großen europäischen Sehenswürdigkeiten. Zahlreiche Reisebusse, herumirrende Touristen, Souvenirshops und Kiosks mit Süßigkeiten, Gedrängel an den Kassen und vor dem Eingang. Ich fühle mich unwohl, und wäre gerne alleine. Auschwitz heute ist (leider) auch eine riesengroße touristische Sehenswürdigkeit mit tausenden Besuchern pro Tag. Es ist mir eigentlich schon beim Start der Führung alles etwas zuviel: zuviele Menschen, zuviel Gewusel, vor allem zu wenig Ruhe und Einkehr angesichts dessen, was uns Besucher erwartet.

Doch das Bild ändert sich rasch. Mit dem Durchschreiten des „Arbeit macht Frei“-Bogens und dem richtigen Beginn der Führung ist es blitzartig ruhig. Teilweise gespenstisch ruhig. In den Katakomben, Einrichtungen und ganz besonders den Gaskammern schieben sich hunderte, tausende Menschen durch die Gänge und es ist dennoch unglaublich still. Stille, die einen bedrückt und teilweise tief bewegt und in Gedanken zurücklässt. In den Räumen des Museums, in denen die Haare, Schuhe oder Kleidung der Opfer aufgestapelt sind, ist die Trauer und die Beklommenheit von uns Besuchern fast mit Händen greifbar. Es fasziniert mich: Viele Schülergruppen sind an diesem Tag mit mir dort, über Stunden (allein die Führung dauerte 3,5 Stunden) wird kaum bis gar nicht gesprochen.

Auschwitz Todesgraben

Man spürt förmlich, wie hier Geschichte lebendig wird. Der Stacheldraht, die Einrichtungen, die Gebäude, die Bilder: Alles ist da. Es ist wirklich passiert, hier an dieser Stelle. Hier wurden Menschen ermordet – nur aufgrund ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer politischen Zugehörigkeit oder ihrer sexuellen Orientierung. Nur aufgrund von Hass und politischem Wahn.

Trotz all diesem bleibt es unwirklich, fast unglaublich. Dieser Gedankengang – und ich bin mir sicher, dass dies so ähnlich jedem durch den Kopf geht – ist so wichtig, denn hier findet ein Lernprozess statt. Mir zeigt es, wie wichtig solche Gedenkstätten auch und gerade heute für meine und jüngere Generationen sind. Hier wird aus der Touristenattraktion plötzlich eine Bildungseinrichtung und eine authentische Begegnungsstätte mit dem Holocaust.

Auschwitz- HALT!

So können Gedenkstätten wie das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau (hoffentlich) dazu beitragen, den Hass und die täglichen Diskriminierungen auf der Welt zu reduzieren. Zustimmen kann ich in diesem Zusammenhang einem Beitrag für die „The Jerusalem Post„. Shimon Ohayon spricht sich dafür aus, Holocaust-Unterricht als Gegenpart zum aufkommenden Rechtspopulismus in Europa zu nutzen: „Europeans must remember this dark chapter of history because there are events taking place every day which are eerily reminiscent of the National Socialists’ amassing of political power leading up to the Holocaust. Europeans must be taught the past so they can stand in the way of these groups in ways that their ancestors did not, before it is too late.“

Das Lernen aus der (NS-)Geschichte hat erst begonnen und NS-Ideologien sind leider noch immer in unserer Gesellschaft tief verankert (siehe dazu auch den wieder gesellschaftsfähigen Antisemitismus). Und genau daher muss es unsere Aufgabe sein, besonders jungen Menschen dieses dunkle Kapitel der Menschheit mit all seinen Facetten zu vermitteln. Damit wir und sie niemals vergessen. In dieser Hinsicht ist besonders auch Auschwitz-Birkenau ein unglaublich wichtiger Bildungsort und eben nicht „nur“ Sehenswürdigkeit.

Auschwitz Schonungsblock

Auch aus diesem Grund erachte ich es als wichtig, heute und in Zukunft immer wieder mit kleinen Denkanstössen zu arbeiten, neue Bildungswege in diesem Bereich zu erarbeiten und kleine Projekte wie beispielsweise die Stolpersteine oder @9nov38 zu unterstützen und zu beachten.

Auch das Museum selbst ist auf einigen Social Media-Kanälen (z.B. Facebook und Twitter) unterwegs und trägt auf diese Weise dazu bei, das in einer immer schnelllebigeren Welt die Erinnerungen an den Holocaust erhalten bleiben. Ich kann den Besuch der polnischen Gedenkstätte jedem nur ans Herz legen. Es ist gleichzeitig traurig und lehrreich, es ist bedrückend, aber fördert genau dadurch unser Bewusstsein für Geschichte und trägt zu einem verantwortungsvollen Umgang mit Mitmenschen bei.

Auschwitz wall of death

Argo, Fuck yourself!

Auf den fast letzten Drücker noch einen der Geheimfavoriten der Oscars im gemütlichen Kölner ‚Rex am Ring‘ gesehen: Argo. Ben Afflecks zweite Regiearbeit erweist sich als gutes, unterhaltsames Stück Kino.

Es ist November 1979, als im Laufe der Islamischen Revolution in Teheran iranische Studenten die US-amerikanische Botschaft stürmen und dort über 444 (!) Tage 52 US-Diplomaten als Geiseln nehmen. 6 der ursprünglich 58 Diplomaten können bei der Stürmung fliehen und kommen nach mehreren Tagen auf der Flucht in der kanadischen Botschaft unter. Diese 6 sollen nun von der CIA befreit werden, aber ihr fällt für diese kniffelige Situation keine Lösung ein und so engagiert sie Tony Mendez, einen Rettungsspezialisten. Mendez kommt auf die Idee, die Truppe mit einem fiktiven Science-Fiction-Film namens „Argo“ aus Teheran zu befreien. Um die Glaubwürdigkeit des Filmes zu erhöhen, wird ein Produktionsbüro gegründet, und es gibt Presselesungen und Werbung wird geschaltet. Klingt nach einem schlechten Film? Nun ja, wie im Filmtitel oben schon reißerisch steht: Der Film war zwar ein Fake, die Geschichte ist es aber nicht – und ging als Canadian Caper in die Geschichte ein. (Erst 1997 gibt die CIA ihre Beteiligung an dem Projekt bekannt.)

Ben Affleck hat aus dieser sowohl kuriosen, als auch ganz sicher spannenden Geschichte einen Thriller gedreht, der sowohl spannende Politthrillerelemente wie auch wunderbare Situationskomik bei der Durchführung von „Argo“ enthält. Historisch hält sich der Film für eine Hollywood-Produktion schon recht nahe an die Personen und Fakten, doch werden auch wichtige Teile der damaligen Geschichte nicht erwähnt oder aus der typischen amerikanischen Sichtweise interpretiert (es bleibt leider ein etwas satirisches Heldenepos, für politische Konsequenzen bietet der Film keinen Raum). Aber sicher wollte Affleck hier auch keine History-Doku drehen – und ein angenehm überraschender Kinofilm ist ihm gelungen. Da wäre zum einen die sowieso schon faszinierende Rettung, die der Film hier gekonnt und spannend interpretiert und darstellt. Dazu gesellen sich bis in die kleinste Nebenrollen hervorragende Schauspieler (in winziger Rolle zum Beispiel Philip Baker Hall), und ein aufgedrehtes Alt-Star-Duo mit Arkin und Goodman als unglaublich lustige Hollywood-Veteranen. („Argo, Fuck yourself!“) Affleck bleibt in der Hauptrolle relativ blass, trägt den Film kaum mehr als seine Sidekicks. Das ist aber ausnahmsweise gut so, ich mag die Zurückhaltung der Rolle hier sehr gerne (Trotzdem: Als Regisseur gefällt mir Affleck einfach besser!).

Technisch macht Argo alles richtig: Klasse Bilder, schönes Setting, glaubhafter 80er-Jahre-Modus allerorten. Der Showdown am Teheraner Flughafen, zu dem es natürlich kommen muss, ist sicher dann wieder mehr hollywood’sche Fiktion, aber dennoch gut gemachte Fiktion: spannend, dramatisch, stilsicher und letztlich auch unterhaltend. Und das ist es ja letztlich, warum wir Filme schauen. Ben Affleck hat mit Argo schon viele Preise einheimsen können, ob der Oscar für den besten Film dazu kommt, bleibt abzuwarten. Für mich persönlich kein Meisterwerk, aber sehr gute Unterhaltung: 8 von 10 Außerirdische.

PS: Warum auch 2012 noch einfachste technische Fehler im Kino passieren, bleibt mir ein Rätsel. Als der Jumbo der Swiss-Air abhebt (!) überholen (!!) ihn noch Autos (!!!) der iranischen Sicherheitskräfte. Eine solche Maschine erreicht beim Start etwa 300km/h.

Und der Trailer hinterher:

The Lumineers – A Take Away Show

Heute mal wieder Musik- und Videovorstellungen mit einer meiner liebsten Musik-Neuentdeckungen des vergangenen Jahres, der US-amerikanischen Band „The Lumineers“.

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Letztes Jahr im Sommer bekam ich jeden Tag per Skype, Whatsapp oder Facebook einen Song geschickt – aus Island. Und weil Island ja musikszenetechnisch immer etwas weiter ist als wir, durfte ich schon im Sommer den wunderbaren Feelgood-Song Ho Hey genießen, mittlerweile ein großer Hit geworden. Der Song war auf dem im April 2012 erschienenen Debütalbums von The Lumineers, und sollte uns den Rest des Jahres mit seinem Ohrwurm-verdächtigen Chorus („I belong to you, you belong to me“)  begleiten. Mittlerweile habe ich das ganze Album rauf und runter gehört, und kann es nur jedem ans Herz legen. Wunderbare Musik.

Gefühlt brauchen die drei Musiker mittlerweile kaum noch eine Vorstellung. Das Trio aus Denver, bestehend aus Wesley Schultz, Jeremiah Fraites und Neyla Pekarek, macht bodenständigen Folkrock: Ganz viel Akkustik-Gitarre, ein bisschen Cello, viel Fußstampfen und Händeklatschen. Schon in Albumform ganz großartig, und live vermutlich noch besser.
Nein, nicht vermutlich: Ganz sicher, wie man sich in zahlreichen Live-Videos anschauen kann. Allen voran die „Take away-Shows“ der französischen Musikseite La Blogotheque, die tolle Live-Sessions produzieren und dabei ungewöhnliche Konzertorte probieren. Mit den Lumineers waren sie in San Francisco unterwegs, im wahrsten Sinne des Wortes.

Die Take Away-Show in 3 Teilen, mit den Songs „Ho Hey“ & „Big Parade“ in Act1, einem „Untitled“ song in Act2,  und schließlich als Act3 „Stubbon Love“. Enjoy!

Mythologie, Religion und die große Depression: Carnivàle (HBO, 2003-2005)

Der amerikanische Sender HBO ist ja mittlerweile auch hierzulande bekannt für seinen hohen Qualitätsstandard und beliebt für Fernsehproduktionen wie The Wire, The Sopranos, Six Feet Under, Game of Thrones, True Blood oder auch aktuell Girls. Ein weiteres großes Stück Fernsehkunst hat es dagegen trotz vieler Fans und guter Kritiken nie nach Deutschland ins Free-TV geschafft und wurde viel zu früh abgesetzt: die vielschichtige und großartige Serie Carnivàle.

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Auf Carnivàle bin ich vor einigen Jahren gestoßen: in einer Filmwissenschafts-Vorlesung über „US-amerikanische Serien seit Twin Peaks“ zeigte die Dozentin einen Ausschnitt und bewunderte die Charaktere und die Komplexheit der Handlung und verglich die Serie mit David Lynchs Meisterwerk Twin Peaks. Und in der Tat kommt bei den ersten Episoden unmittelbar der Gedanke an Laura Palmer, Agent Cooper und co. Nicht nur, dass mit Michael J. Anderson einer aufgrund seiner genetischen Krankheit eindrücklichsten Schauspieler sowohl in Lynchs Werk als auch in Carnivále mitspielt (schon dessen Prolog im Piloten der Serie ist großartig!), sondern auch der Rest des Casts ist ähnlich wie in Twin Peaks geprägt von seltsamen Gestalten und ungewöhnlichen Menschen, und die Mystik nimmt auch in der HBO-Serie einen breiten Raum ein.

Carnivàle, Namensgeber ist ein umherziehender Jahrmarkt, spielt mitten in der „Great Depression“ der 1930iger Jahre, tief im mittleren Westen der USA und dieses deprimierte Leben wird in jeder Sequenz deutlich: Armut, Schweiss und Schmutz, Arbeitlosigkeit, Kriminalität – und auf der anderen Seite auch tiefste Religiösität, Aberglauben und eine von mystischen Symbolen aufgeladene Welt. Die übergreifende Geschichte der Serie dreht sich um den Kampf zwischen Gut und Böse, oder anders gesagt: Den Kampf zwischen der Gestalt des Lichts und der Kreatur des Dunklen. Im Mittelpunkt davon stehen der junge Ben Hawkins und der Priester Justin Crowe (ähnlich wie später bei der Drama-Serie LOST wird auch hier mit den Namen der Protagonisten gespielt!), welche sich nicht nur hinsichtlich ihrer Mission diametral entgegen stehen: Hier der adrette, makellose und immer höfliche Bruder Justin, dort der immer verschwitzte, etwas heruntergekommene Ben; hier der Publikumsliebling und Radiostar, dort der zurückgezogene, einsame Junge. Die Serie spielt vor allem in ihrer ersten Season ganz bewusst mit diesen Gegensätzen, denn zu diesem Zeitpunkt steht nicht offenkundig fest, welcher der beiden für „das Gute“ und welcher von ihnen für „das Schlechte“ steht. (Hier zum Trailer.)

Diese Grundidee der Serie (Gut gegen Böse) erscheint wenig originell und zumindest auf tieferer Ebene langweilig. Doch Carnivàle (unter der Idee von Drehbuchautor Daniel Knauf) schafft eine solch überzeugende Konstruktion des Plots und der einzelnen Charaktere, dass man jedes neue Mosaik begierig aufnimmt. Vor allem die zahlreichen Personen der Geschichten sind dabei authentisch und vielschichtig. Darüber hinaus bekommt jede Figur viel Zeit für ihre Entwicklung. Allein schon Bens (gespielt von Nick Stahl) Entfaltung vom schüchternen, verzagten Jungen zum heilenden Mann mit einem Auftrag ist großes Kino. Die „Kräfte“ der Protagonisten nehmen dabei selbstredend einen großen Spielraum innerhalb der Serie ein: Hawkins kann durch seine übernatürliche Fähigkeiten Menschen heilen, sogar vom Tod wiederauferstehen lassen, während Crowe sie dazu bringen kann, seinem Willen zu folgen. Was beide noch eint: sie haben immer wieder dunkle Visionen und Alpträume. Dies alles wird einer unglaublich komplexen Mythologie zugrunde gelegt: Aufgeladen mit spirituellen Symbolen, Freimaurer-Legenden, Tarotwahrsagung und natürlich der christlichen Theologie ist die Handlung von Carnivàle intensiv und oftmals verwirrend.

Dies könnte sicher auch dazu beigetragen haben, dass die Quoten besonders in der Season 2 für HBO zu schlecht waren, und die Serie abgesetzt wurde. Dies ist vor allem bedauerlich, weil Knauf sein Projekt auf 6 Staffeln angelegt hatte und das Ende der 2. Staffel – nun ja – kein wirkliches Ende ist. Ohne zuviel zu spoilern: Der Cliffhanger der allerletzten Folge lässt den Zuschauer etwas sprachlos zurück. Und somit kann der Carnivàle nie seine ganze epische Breite erzählen, die ihm angedacht war. Ich hätte der „Freakshow“ rund um Mr. Samson liebend gerne noch weitere Seasons zugeschaut. Denn hier findet sich schon alles, was wir auch an aktuellen Serien lieben: eine mitreißende, komplexe Story, dazu ein perfektes Setting mit phantastischen Bildern, Charakterdarsteller und eine langsame Erzählart mit viel Entfaltungsmöglichkeit für die Geschichte.
Wer sich sich mal wieder auf etwas Älteres einlassen möchte, und dabei auch nicht vor Intensivem zurückschreckt und andere Fernsehkunst wie die eingangs erwähnte Serie Twin Peaks mag, wird hier mit einer großartigen, bildgewaltigen Serie belohnt. Fernsehen, wie es immer sein sollte. Leider ist bis heute keine deutsche DVD erschienen, es gibt bisher nur den UK-Import.

Moonwalk.

Wer hier ab und zu reinschaut, wird es gemerkt haben. Hier war es lange dunkel, und nicht einmal Vollmond gab es ab und zu. Das hat auch seine Gründe. Man kann leider nicht auf allen Hochzeiten tanzen. Parallel zu einer Examensarbeit, dem ganz normalen Wahnsinn und vielen, vielen Texten auch noch bloggen? Nein, für mich irgendwann zuviel.

In den nächsten Wochen kommt hoffentlich wieder mehr hier rein, vor allem musik- und serientechnisch hat sich viel getan. Zum Start in das Jahr 2013 ein tolles Video von Mikey Schäfer, der eben jenen Vollmond perfekt getroffen hat, mit einer Kamera aus mehr als einem Kilometer Abstand, und damit seine Aufnahmen zu einer wunderbaren Mondtäuschung werden lässt.  (Wie so oft gilt: am besten in HD und Fullscreen genießen.)

Florence and the Machine live in Frankfurt

Erst zwei Alben und schon gefühlt ein Weltstar. Florence Welch ist schon jetzt eine Marke, und sie kann damit mittlerweile auch bei uns größere Hallen füllen. Ein Bericht vom wundervollen Konzert am 2.12.2012 in der Frankfurter Jahrhunderthalle.

Live in Frankfurt, Jahrhunderthalle

Miss Welch ist gerade 26 Jahre alt, doch wenn sie in ihren Kleidern Kostümen auf der Bühne erscheint, wenn sie ihre Stimme durch die Hallen peitscht, wenn sie eine rundum perfekte Show abzieht, denkt man sie wäre eine wesentlich ältere Dame. Erst wenn sie immer wieder hüpft und springt und schreit und animiert, kommt der jugendliche Wahnsinn etwas durch. Dann ist Florence in ihrem Element, dann reißt sie ein ganzes Publikum bis zu den letzten Plätzen mit. Dass Florence and the Machine wahnsinnig gute Shows abliefern, wusste ich schon von Freunden – und natürlich auch von anderen Aufzeichnungen, wie hier beim Glastonbury. Also wurde es Zeit, und glücklicherweise war das Ende der European-Tour fast vor der Haustür*. (*in Konzertsprache: weniger als eine Stunde Anfahrt.)

Den Support übernehmen – wie bei allen Konzerten der Tour – Spector, eine britische Indie-Band, die schon vor ihrem Debüt-Album in die Ehren der Auswahl der BBC-Acts des Jahres kamen. Und gar nicht mal zu Unrecht: Guter Sound, interessante Lead-Stimme (erinnerte uns etwas an Editors-Frontman Tom Smith), und wirklich gefälliger Gitarrenrock. Das ist in der Tat eine nette Vorband, der man gerne zuhört. In ihr Debüt-Album  aus dem August muss ich dringend mal länger reinhören.

Danach herrscht eine ungewöhnlich lange Umbau-Pause, die manch quengeliger Fan gar schon mit Pfiffen quittiert, doch als die ersten Klänge von Only if for a night erklingen, ist dies vergessen. Denn Florence and the Machine sind von der ersten Sekunde voll da. Das Publikum braucht etwas länger, aber spätestens mit dem zweiten Song What the water gaves me sind alle mit dabei. Frau Welch steht am Bühnenrand, und singt, ja manchmal möchte man fast schreien sagen. Aber das ist es nicht: nichts bei ihr klingt gepresst. Ihre Stimme ist selbst bei den unangenehmen Höhen und Längen ausgeglichen. Beeindruckend. Immer wieder rennt sie von einer Seite der Bühne zur anderen, animiert die Gäste bis zu den letzten Sitzplätzen auf der Tribüne, tanzt ausgelassen – nur um im nächsten Augenblick wieder still zu stehen und die ruhigen, magischen Momente des Konzertes beinahe andächtig hervorzuheben, wie beispielsweise in der Piano-Version von Leave my Body.

Das ist vielleicht das Großartige an Florence and the Machine. Die Mischung aus gnadenlos ausuferndem Pop-Song, tanzbaren Stücken und etwas so Stillem wie hier zu hören. Und schon eine Sekunde später ist sie mit ihrem Radio-Hit Shake it Out schon wieder auf Durchdreh-Modus. Zwischendurch fordert sie bei Rabbit Heart (Raise it up) alle auf sich gegenseitig auf die Schultern zu nehmen, bei der ewig langen Zugabe The dog days are over schreit sie in die Menge und springt anschließend mit dem Publikum um die Wette. Das Schöne an all dem: Man merkt der Band, den Sängerinnen und ihr den Spaß auf der Bühne an. Und das überträgt sich schnell auf alle. Das sind die Konzerte, welche einem später in positiver Erinnerung bleiben. You’ve got the Love ist da nur eines von vielen schönen Highlights.
Ziemlich genau 1:45 h war die Band auf der Bühne incl. aller Zugaben, und die hatten es sowohl zeitlich als auch stimmungsvoll in sich. Spectrum war toll, und dog days are over dann die großartige Krönung eines sehr guten Konzertes.

Die ganze Setlist des Konzertes:

1. Only If for a Night  2. What the Water Gave Me 3. Drumming Song  4. Cosmic Love  5. Bird Song (Intro) 6. Rabbit Heart (Raise It Up) 7. You’ve Got the Love  (The Source cover) 8. Lover to Lover  9. Heartlines  (acoustic) 10. Leave My Body (piano version) 11. Shake It Out  12. No Light, No Light

Zugabe: 13. Sweet Nothing  14. Spectrum 15. Dog Days Are Over

Gar nichts zu meckern? Eigentlich nichts, aber nun ja: Der Ton in der Jahrhunderthalle war leider alles andere als optimal. Mehr als einmal sehr übersteuert. Da erwarte ich mir als Konzertbesucher einfach etwas mehr Professionalität – kann aber auch Wunschdenken sein.

Ansonsten großes Lob: wunderbarer Abend mit dieser wahnsinnigen Frau auf der Bühne. Wird nicht das letzte Mal gewesen sein, dass ich Florence and the Machine gesehen habe.

Goodbye Cocoonclub Frankfurt

Nachdem am 13. September die Betreiber des Cocoonclubs in Frankfurt Insolvenz beantragt hatten, war klar: Lange macht es der Club nicht mehr. Und so kam es auch: am 30.11.2012 fiel der letzte Vorhang, zum letzten Mal wurde im weltweit bekannten Club in Frankfurt ausgelassen gefeiert. Goodbye Cocoonclub.

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(c) Andreas Glänzel, 30.11.2012.

Man konnte zum Cocoonclub in Frankfurt stehen wie man wollte: lieben, hassen, tolerieren oder nicht beachten. Am internationalen Renommee und am tollen architektonischen und klanglichen Konzept kam man nicht vorbei, vor allem in den ersten Jahren ab 2004. Mit 700.000€ hatte der Club damals unglaublich viel Geld in eine gute Anlage investiert und dies war und ist der Grund für Tausende von Menschen gewesen, den Club zu besuchen, um dort zu feiern, zu tanzen, zu vergessen.
Mit den Jahren sind viele andere Clubs vorbei gezogen. Besser aufgestellt, sinnvollere Zusammenstellungen, bessere Konzepte und letztlich: bessere Musik. Im Cocoonclub setzte man die vergangen Jahre immer mehr auf Mainstream- ja, sogar Trance-Acts. Dies schadete dem Ruf noch mehr als die vermeintlich lächerliche Debatte um den Stil der Besucher. Aber in der Tat: Frankfurt hat ein enormes „sehen und gesehen werden“-Publikum mit Anzug und Hemd, oftmals wunderte ich mich auf Partys in Frankfurt über dieses Klientel. Aber mögen andere den Untergang und die finanziellen Schwierigkeiten beurteilen, dafür war ich viel zu wenig dort.

Zur Closing-Party habe ich mich aber nach einiger Zeit noch einmal aufgemacht. Das Lineup in meinen Augen gut und ansprechend, einfache VVK-Tickets und dazu ein guter Termin für mich. Also nichts wie hin – aber im Grunde hätte ich mir das gut sparen können. Denn an diesem Abend wurde leider alles, was man dem Cocoon oft vorwarf, fast klischeemäßig übertroffen. Lange chaotische Warteschlangen (während es draußen bei -4Grad mit Tickets noch recht zügig ging, war drinnen bei der Garderobe keine Chance mehr), viel zuviele Menschen auf engstem Raum, Frauen in Cocktailkleid und High-Heels wie bei einem Abschlussball, grölende Männer-Gruppen in JGA-Stimmung, und dazu auch noch – nicht erwartungsgemäß – wenig gute Musik. Besonders Herr Eulberg, auf den ich mich immer freue, und der einer meiner liebsten Produzenten ist, enttäuschte mich sehr. Vielleicht wollte auch der Funke einfach nicht überspringen, aber das war in meinen Augen eine Vollkatastrophe.

Manchmal machte ich die Augen zu, lauschte nur dem wunderbaren Sound des Basses, den Melodien der Tracks und vergaß die Tausenden Feiernden um mich herum: In diesen Augenblicken fühlte ich mich wohl, komplett versunken in der Musik, für die ich die Clubs liebe, für die ich auch den Cocoonclub sehr mochte.

Ganz so schlimm wie es sich nun anhört, war es natürlich auch nicht: Es war ein durchschnittlicher Club-Abend, der leider etwas unorganisiert und chaotisch war, aber es war auch definitiv kein schöner Abschluss eines legendären Clubs.

cocoon , Club, Techno, Clubs am Morgen

(c) Aus der Photoserie „Leere Clubs am Morgen“ von Andre Griesemann und Daniel Schulz, 2009.

Dennoch: Es bleibt eine schöne Erinnerung, einen solchen guten Club miterlebt zu haben. Die Cocoon-Musik, der Gedanke und die Cocoon-Events werden sowieso weiterleben. Und so ist es nur logisch, dass der letzte gespielte Track des Morgens „This is not the end“ von Gui Boratto war. Dann doch irgendwie ein versöhnlicher Abschluss.

Das Abschluss-Set des Residents Sidney Späth:

Kino(p)review: 7 Psychos (Martin McDonagh, 2012)

Man merkt es deutlich: Es geht auf Weihnachten zu. Nicht nur in den deutschen Innenstädten, sondern vor allem in unseren Kinos, denn dort kommen wieder vermehrt richtig gute Neustarts. Das neue Werk von Regisseur Martin McDonagh startet am 6.12. und lohnt definitiv einen Kinobesuch. Eine großartige exentrische Gangster-Komödie.

colin farell sam rockwell Wenn der erste Film ein Volltreffer wird, sind die Erwartungen bei den Nachfolgern meistens groß. McDonagh hatte mit dem schwarzhumorigen Film-Drama Brügge sehen…und sterben? einen absoluten Hit gelandet: originell erzählt, wunderbare Darsteller und verschrobene Charaktere und eine perfekte Balance zwischen Tragik und Slapstick. Tolles Kino, mit charmanter Umgebung. In 7 psychos behält McDonagh diese Coolness aus Brügge bei und setzt dem Ganzen noch mehr Witz, noch mehr Einfallsreichtum und noch mehr ausgeflippte Ideen obendrauf. Dank der sympatischen Crew von Filmstarts.de war ich gestern bei der Preview des Filmes und sah einen Film, der durchaus Potential hat, einer dieser „Kultfilme“ zu werden. Einem gewissem „Pulp Fiction“ läuft er recht locker den Rang ab.

Und darum gehts: Marty (Colin Farrell) ist ein glückloser Autor, der sich nichts sehnlicher wünscht, als sein Drehbuch „Seven Psychopaths“ zu beenden. Sein Freund Billy (Sam Rockwell), ein arbeitsloser Schauspieler, der sich mit Hundediebstahl über Wasser hält, will ihm unter allen Umständen dabei helfen. Was Marty jedoch vor allem fehlt, ist Inspiration. Billys Diebeskumpan Hans (Christopher Walken) wiederum ist ein ehemals gewalttätiger Mann, der nun zum Glauben gefunden hat. Das Duo hat unwissentlich einen großen Fehler begangen und stahl vor kurzem den geliebten Hund des psychopathischen Gangsters Charlie (Woody Harrelson). Wenn dieser Wind von der Identität der Täter bekommen sollte, würde er sie töten, ohne mit der Wimper zu zucken. Marty soll bald die notwendige Inspiration erhalten – die Frage ist nur, ob er und seine Freunde das auch überleben…

Hier muss ich erstmal überlegen, wie ich diesem Werk, diesem Film voller absurder Ideen gerecht werden kann. 7 Psychos bietet eine ungewöhnliche, abgedrehte und oftmals abstruse Story, zu der man gar nicht zuviel sagen kann, ohne allzuviel zu spoilern. Fest steht: An Psychopathen mangelt es dem Film genauso wenig wie an Gewaltdarstellungen in jeder Form oder einfach grandiosem Humor. Der Film überschlägt sich fast vor Ideen, Witz und verrückten Einfällen. Und dazu auch noch ein Shih Tzu. Das Großartige daran ist, dass daraus kein Klamauk wird, sondern McDonagh es schafft das richtige Tempo zu finden, und die richtigen ruhigen Momente zwischen den Wahnsinns-Ekstase-Szenen zu balancieren. Logik darf man hier nicht zuviel erwarten: Die übersteigerte Groteske ist hier der Standard und dient dem Selbstzweck. Die Morde geschehen dabei geradezu überspitzt, wie man dies aus Comics kennt. Diese ironische Brechung führt dazu, dass man sich nicht darüber wundert, sondern herzhaft lacht und enorm viel Spaß hat.

Einen großen Anteil am gelungenen Gesamtwerk haben hier sicher auch die Schauspieler, denn Collin Farell ist vielleicht so gut wie nie, Christopher Walken zeigt, warum er mal zu den ganz Großen gehörte, und Sam Rockwell spielt selbst die hervorragenden Nebendarsteller wie Tom Waits und Woody Harrelson locker an die Wand. Eine Wahnsinnsfigur. Und DIE Mütze!

7 Psychos ist ein wahrer Glücksfall von Film. Wer auf bösen Humor, unkonventionelle Storys weit weg vom Mainstream und etwas arg verschrobene Charaktere (nennen wir sie ruhig Psychopathen!) steht, dem ist dieses Highlight wärmstens zu empfehlen. Martin McDonagh gelingt auch mit seinem zweiten Film ein absoluter Hit. Bei der üblichen Filmstarts-Sterne-Bewertung nach der Preview gab ich übrigens 4,5 Sterne (von 5). Und, at least: Mehr noch als sonst eh schon lohnt hier die Originalversion. Warum? Wegen diesem Mann und dieser unfassbaren Stimme, dessen wunderbare Psychopathenstory fast schon beiläufig erzählt, was aus dem Zodiac-Killer wurde.

Marko Fürstenberg – „Gesamtlaufzeit“ (Thinner)

Zum überhaupt ersten Mal stelle ich hier ein Album vor, welches nicht im gleichen Jahr oder zumindest aktuellen Zeitrahmen erschienen ist. Marko Fürstenbergs Netlabel-Album „Gesamtlaufzeit“ aus dem Jahre 2003 habe ich aber erst in diesem Herbst entdeckt – und es ist so zeitlos gut, dass es völlig egal ist, wann man es bespricht. Classic Dubtechno.

Vor fast 10 Jahren veröffentlichte Marko Fürstenberg aus Leipzig dieses Album, welches ich heute, im Herbst 2012, höre, als wäre es ein aktuelles Album. Ein bisschen ist es auch so, denn das damalige Thinner-Netaudio-Album wurde neu aufgenommen, und im Zuge der Neuveröffentlichung habe ich auch davon erfahren. Vor allem bei Ronny vom kfmw las ich davon, und konnte mich schließlich auch nicht mehr satthören an diesem Sound, der einen auf eine eigenartige, aber vor allem wunderbare Weise mit auf eine Reise nimmt. Man schließt die Augen und sieht Landschaften vor sich und fängt an zu träumen. Und ich denke mir so: Warum hast du so etwas 2003 noch nicht gekannt? Dass es solchen Dubtechno damals schon gab, schmerzt umso mehr, wenn ich denke, was ich zu dieser Zeit alles in Clubs erlebt und gehört habe. Aber sei es drum: Jetzt ist das Album immer noch zu hören, und – wie schon gesagt – es ist unglaublich zeitlos und passt mit seiner Tiefe und seinem Soul genau in dieses aktuelle Jahr.

Was gibts?
Ein ziemlich grandioses, vielschichtiges Dub-Techno-Werk. Deep, alles fließend, jede Menge Bass und doch so schlicht und ruhig. Toll. Tracks, die man als begeisterter Dub-Hörer jeden Tag hören kann.

Anspieltipps:

Flüssige Reise, und das poppige Clubstück In der Pappelei. „Kopfhörer auf“ pur ist auch der Rosengarten.

Das gesamte Album „Gesamtlaufzeit“ ist noch immer als CC-Lizenz-Download kostenlos verfügbar. Enjoy!

„Cloud Atlas“ im Kino

David Mitchells Roman „Cloud Atlas“, der sich mit der menschlichen Willenskraft beschäftigt, galt seiner Erzählstruktur wegen lange Zeit als unverfilmbar. Tom Tykwer („Lola rennt“) und die Wachowskis („The Matrix“) haben es dennoch versucht – und dabei tatsächlich großes Kino erschaffen.

 

Ein Mammutprojekt mit gleichzeitig stattfindenden Drehs. Sechs verschiedene Zeiten und Geschichten, sechs verschiedene Genres. All dies in einem Film? Dazu: Der teuerste europäische Film aller Zeiten. Ein bekanntes Schauspielerensemble gespickt mit Stars und obendrein noch drei(!) erfolgreiche Regisseure. Kann so etwas gut gehen? Ist ein solches Projekt, in dem alleine Tom Hanks sechs verschiedene Rollen spielt, möglich?

Es ist gut gegangen, um dies vorweg zu nehmen. Das man nach einem 3-stündigen Blockbuster nicht ernüchtert, sondern erstaunt und fasziniert nach Hause geht, passiert nicht häufig. Wie ist dies „Cloud Atlas“ gelungen? Aus sechs Geschichten setzt sich der Film zusammen, sechs Geschichten, die völlig unterschiedlich sind, und die doch vieles gemeinsam haben: In jeder von ihnen stemmt sich der freie Wille gegen das Schicksal, und obwohl meistens dennoch das Böse siegt, gibt es Hoffnung. Hoffnung auf bessere Zeiten, Freiheit, und ein gemeinsames Miteinander.

Im Jahr 1849 ist der Amerikaner Ewing im Pazifik auf einem Segelschiff unterwegs, der Komponist Robert Frobisher ist 1936 auf der Suche nach sich selbst und einer weltumfassenden Komposition, die Journalistin Luisa Rey ermittelt 1973 in einem Energie-Konzern, 2012 landet ein chaotischer Verleger in einem geschlossenen Altersheim, in der relativ nahen Zukunft 2144 wird eine Duplikantin verhört, die ein Mensch werden wollte und in einer post-apokalyptischen Zeit in 2346 wird ein einfacher Hirte auf Hawai’i zum Helden.

Und natürlich kann man so etwas schon im Ansatz verreißen. Auch ich könnte es tun: Kitschig? Ja, und wie. Sinnlose Dialoge und Plot-Szenen? Na klar. Hanebüchene Klamauk-Ausreißer? Ja, besonders in der 2012-Geschichte. Mainstream und vielleicht doch zu sehr Hollywood? Ganz klar, beispielsweise hätte ich mir bei einer deutschen Produktion mehr deutsche Schauspieler gewünscht. Die Einzel-Storys für sich? Eher langweilig. Am besten noch: 1973.

Aber: „Cloud Atlas“ überzeugt als ein unglaublich beeindruckendes visuelles Gesamtwerk, welches sich nicht auf einzelnen Storylines ausruht, oder gar auf einzelnen Gesichtern. Die opulente Reise durch die Zeitgeschichte nimmt einen mit auf ein ganz großes Abenteuer, ist dabei intelligent und philosophisch (Zerstörung des Menschen, Zivilisation, Gewalt, Machtmißbrauch, freier Wille, etc.), und verbindet mehr als geschickt nicht nur verschiedene Orte und Zeiten, sondern auch Genres, und dies so flüssig, dass man es kaum wahrnimmt, und irgendwann im Kinosaal nur noch die Verbindungen der Geschichten sucht. Herausragend neben all diesen Punkten: die Maske. Was hier geleistet wird, ist schlicht großartig. Wenn Schauspieler über Altersgrenzen und Hautfarben hinweg kaum wiederzuerkennen sind, macht dies einfach sehr viel Spaß. Die Besetzung ist sowieso schon gelungen, allen voran die Nebenrollen wie Jim Broadbent, Jim Sturgess oder Hugo Weaving. Alleine schon Hugh Grant verdient sich hier Extrapunkte durch 6 unterhaltsame unterschiedliche Rollen.

„Cloud Atlas“ könnte durch seine besondere und faszinierende Erzählstruktur einer der Filme des Jahres sein. Trotz aller Schwächen bleiben die positiven Seiten bei mir in Erinnerung und zeigen dabei, dass auch das Mainstream-Kino noch überraschen kann. Anschauen lohnt sich – und die Überraschungen im Abspann, wer welche Rollen gespielt hat, sollte man sich nicht entgehen lassen.